Die christliche Mystik • Volker Leppin

In der Stadtbücherei habe ich dieses Buch über Mystik gefunden. 
Es ist, wie ich finde, ein guter Einstieg in das Thema - wichtige Persönlichkeiten und deren Ideen werden besprochen und machen neugierig auf weitere Informationen und Lektüre. 

Volker Leppin Einige Notizen und Zitate

Introspektion = Innenschau
religiöse Haltung

jüdischer Philosoph Philo von Alexandrien (ca. 20 v.C. bis ca. 45 n.C.) > bringt platonische Motive ins hellenistische Judentum

Apostel Paulus > Wandlung durch die Taufe

"Der Weg zu Gott ist ein Weg der Leugnung des eigenen Ich."

Gnosis > fortschreitender Weg der Erkenntnis bis zur Transzendens
Christliche Mystik > Distanz zu Gott, Vereinigung erst im Jenseits

Alexandrinische Theologie im 3. Jh.

• Ammonius Sakkas > mittelplatonischer Philosoph
• Origenes von Alexandrien > kirchlicher Theologe, Kommentare zur Bibel, "Urbilder" (Christus und die Braut/Kirche)
• Plotin > Neuplatonismus

Corpus Dionysiacum

Pseudo-Dionysius Areopagita, 5. Jh., christlicher Neuplatonismus, 10 Briefe und 4 Traktate
• "Lehrer" der Gotteserkenntnis, der Grenzen und Möglichkeiten
• Gott ist unnennbar / ohne Namen.
• Gott ist unerkennbar. (Durchflutung von Licht)
Gott ist überlichtes Dunkel.
• Arten der Gottesrede: via positiva, via analogiae (analoge Begriffe), via eminentiae (Übersteigerung der Begriffe), via negativa (was Gott nicht ist)

"Weil Gott die Ursache von allem ist und alles letztlich nur in der Weise existiert, dass es Anteil an den Vollkommenheiten in Gott selbst hat - strebt alles auch zu Gott zurück."
"Erst hier, wo Verstehen aussetzt, ist tatsächlich eine Gottesbegegnung möglich, erst hier ist der Boden für das bereitet, was man als mystische Gottesbegegnung bezeichnen kann: Der Mensch gelangt zur Einigung mit Gott, zur Überwindung der Transzendenz."

• Gott kann niemals ein Objekt sein.
• ekstatikos = entrückend

Denn nur wenn du dich bedingungslos und uneingeschränkt
deiner selbst wie aller Dinge entäußerst,
wirst du in Reinheit zum überseienden Strahl des göttlichen Dunkels emporgetragen,
alles loslassend und von allem losgelöst.
Prozess in Stufen:
Reinigung/Abstreifen des Materiellen (katharsis/purgatio)
Erleuchtung (photismos/illuminatio)
Vollendung (teleiosis) > Einheit (henosis/unio) mit Gott
• neuplatonisches Abstiegs- und Aufstiegsdenken
"Der ganze Himmel wird in Hierarchien, das heißt in Stufenleitern, aufgeteilt, auf denen Gott sich in die äußere Wirklichkeit hinein entäußert hat und die der Mensch auf seinem Rückweg zu Gott beschreiten kann."
• Übersetzung von Johannes Scotus Eriugena (ca. 810-880)

asketische Tradition

• Mönchstum ab 4. Jh. zunächst im Osten, später im Westen
• Antonius (ca. 251-356), christlicher ägyptischer Mönch/Einsiedler > Askese
• Kirchenvater Athanasius (ca. 295-373):
Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werden kann.
• Evagrius Ponticus (345-399):
> apatheia = Leidenschaftslosigkeit
> Kette der Laster und Sünden: Gefräßigkeit, Unzucht, Geldgier, Traurigkeit, Zorn, Trägheit, Eitelkeit, Überheblichkeit (wird von Gregor dem Großen im Westen bekannt gemacht)
• Johannes von Sinai / Johannes Klimkos > schreibt über die klimax = Himmelsleiter
> Gebet = Umgang und Vereinigung (henosis) mit Gott
• Maximus Confessor (ca. 580-662):
Werden wir durch ihn Götter!
Dazu ist er, der Gott und Herr ist nach seinem Wesen ja Mensch geworden. 

Das Taborlicht

• Die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor > seine Kleidung leuchtet heller als irdische Weiß. (Matthäus 17,1-13)
• "Die irdische Welt ist für das jenseitige Licht durchschaubar geworden."
• Gregor Palamas (1296-1359):
meditatives Jesusgebet im Rhythmus des Atems:
> Herr  Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner. <


Wie also gelangen wir nahe zu Gott? Indem wir uns seiner Natur nähern?
Aber keines seiner Geschöpfe hat irgendeine Gemeinschaft oder Nähe mit der allerhöchsten Natur oder wird sie haben. Wenn also irgend jemand nahe zu Gott gelangt ist, hat er sich ausschließlich seiner Energie genähert. 


> Gott ist durch seine Energien das Sein aller Dinge.
"Auch im Blick auf die Sonne kann der Mensch Anteil an der Sonne haben, er kann durch sie erreicht werden, in eine Beziehung zu ihr selbst treten - und doch sind es nur ihre Strahlen / ihre Energien an denen der Mensch teilhat, die Sonne selbst wird ihm immer entzogen bleiben. Genau so verhält es sich mit Gott, den der Mensch nicht selbst erreicht und der doch ihn ihm und an ihm wirkt."
"Das Taborlicht war nicht Gottes Wesen selbst, aber es war göttliche Energie, ungeschaffen wie Gott selbst und göttlich."
Die Schau des Taborlicht ist eine geistige Sinneswahrnehmung. 

Bernhard von Clairvaux

Lerne, o Christ, von Christus, wie du Christus lieben sollst.
Lerne, ihn mit Zärtlichkeit zu lieben,
ihn mit Klugheit zu lieben, 
ihn mit Stärke zu lieben. 

• "Der Weg zu Gott kann nicht anders begangen werden als durch eine Krise hindurch, in der der Mensch seiner Gottesferne gewahrt wird. Das ist der furchterregende, richtende Aspekt in der Begegnung mit Christus, der den Menschen zur Buße ruft, die in Bernhards kirchlichem Verständnis von Mystik die Stelle einnimmt, die abstrakter gedacht in neuplatonischen Systemen die Reinigung als erste Stufe des Erlösungsweges innehat."
• Kuss der Füße, Kuss der Hände, Kuss des Mundes
Demütigung, aber nicht Selbstzerstörung
• "Die Konfrontation mit der eigenen Nichtigkeit im Angesicht Gottes ..."
Denn wenn du endlich vom Schmerz über deine Sünde und von der Furcht vor dem Gericht gequält wirst, dann hast du deine Lippen auf den Fuß der Wahrheit und des Gerichtes gedrückt;
wenn du  dann die Furcht und den Schmerz durch den Anblick der göttlichen Güte und durch die Hoffnung, Gnade zu erlangen, mäßigst, dann wisse, dass du auch den Fuß des Erbarmens umfängst.
• "Der Mensch erklimmt nicht die Leiter zu Gott, sondern Gott zieht ihn zu sich empor."
• Contemplatio = schauendes Wahrnehmen

Hugo von St. Viktor

• Soliloquium:
Schau an diese ganze Welt und betrachte, ob etwas in ihr ist, das dir nicht dient.
Alle Natur richtet auf dieses Ziel ihren Lauf, für deinen Dienst da zu sein, deinem Vorteil zu dienen, deinem Ergötzen wie deinen Bedürfnissen in unerschöpflichem Überfluss sich darzubieten.
• Patrologiae:
Wenn die Worte des Wortes nicht geliebt werden, werden sie nicht verstanden,
und sie werden nicht geliebt, wenn sie nicht geschmeckt werden. 
Himmel und Erde, Luft und Meere, mit allem, was darin ist, hören nicht auf, dieses Ziel zu erfüllen. 

• De sacramentis:
> 3 Augen = 3 unterschiedliche Verstehensformen: das fleischliche Auge, das Auge der Vernunft, das Auge der Schau
"Denn die Erbsünde hat dem Menschen das Licht der Schau genommen, hat das Licht der Vernunft verdunkelt, und lediglich das fleischliche Auge blieb unversehrt."

Hildegard von Bingen

"Doch Hildegard bleibt ganz Hildegard: Sie schaut und hört, was aus dem Jenseits kommt, wird aber nicht in Jenseits gezogen. ...
Will man die besondere Rolle Hildegards verstehen, so ist wohl weniger von einer Mystikerin zu sprechen, als von einer Prophetin, aber nicht nur einer Prophetin der Zukunft, sondern auch von einer Künderin der gesamten Heilsgeschichte aufgrund des biblischen Offenbarungstextes."

Franz von Assisi

"Damit entstanden verschiedene Frömmigkeitsformen, in denen es eine Neigung gab, die Nachfolge Christi nicht oder nicht primär über das Amt zu definieren, sondern über die Lebenswirklichkeit der Menschen. ...
Der Mystik nahe sind jedoch seine Berufung auf unmittelbare Offenbarung durch Gott und seine die begrenzte Welt der Vernunft überschreitende Predigt, deren berühmtester Ausdruck seine Predigt an die Vögel ist. ...
Die Sprengung dieser Grenzen beruhte auf einer Haltung tiefster Demut und Einfachheit."

Bonaventura

"Es ist die der Buße zuzurechnende Zerknirschung, durch die eine Reinigung bewirkt wird, auf deren Grundlage nicht nur eine Begegnung mit Gott möglich ist, sondern letztlich auch eine Rückkehr zur eigensten Bestimmung der Seele."

Die Beginen

Mechthild von Magdeburg
> 23 Stufen der Erniedrigung und Selbsterniedrigung
> Seele ist die Braut von Christus
Du sollst das Nichts lieben, du sollst das Etwas lieben,
du sollst für dich sein und sollst dich an niemanden wenden,
du sollst unermüdlich tätig sein und doch von allen Dingen frei,
du sollst die Gefangenen losbinden und die Selbstherrlichen bändigen,
du sollst die Kranken erquicken und selbst doch nichts besitzen,
du sollst das Wasser der Pein trinken und 
das Feuer der Liebe mit dem Holz der Tugenden entzünden!
So bist du in der wahren Wüste zu Hause!
Marguerite Porete
> Spiegel der einfachen Seelen
> bezieht sich auf Kirchenlehrer Augustinus: Liebe und tu, was du willst!
> stirbt auf dem Scheiterhaufen der Inquisition

Oberrheinische Mystik

Meister Eckhart
"... kleine Abhandlungen, die Pariser Quästionen, in denen er die scheinbar hochabstrakte Frage behandelt, ob Gott verstehe, weil er sei, oder ob er sein, weil er verstehe. ...
Und dieses Sein kommt nun so radikal Gott zu, dass ihm gegenüber die gesamte Schöpfung kein eigenes Sein hat, sondern nur in Gott ein Sein hat: Die gesamte Welt und in ihr der Mensch wird in radikaler Abhängigkeit von Gott gedacht. ...
Was wie eine Grenze zwischen menschlichem und göttlichem Sein erscheint, ist keine wirkliche Grenze, sondern eine Verkennung dieser völligen Verankerung des Menschen in Gott."
> Seelenfünklein
"Eckhart spricht von einer unaufhörlichen Geburt Gottes in der Seele."

Wenn ich predige, so pflege ich zu sprechen von der Abgeschiedenheit
und dass der Mensch ledig werden soll seiner selbst und aller Dinge.
Zum zweiten, dass man wieder eingebildet werden soll in das einfaltige Gut, das Gott ist.
Zum dritten, dass man des großen Adels gedenken soll, den Gott in die Seele gelegt hat, 
auf das der Mensch damit auf wunderbare Weise zu Gott komme.
Zum vierten von der Lauterkeit göttlicher Natur - 
welcher Glanz in göttlicher Natur sein, das ist unaussprechlich.

"Gelassenheit ist ganz wörtlich zu verstehen. Eckhart denkt an das Lassen von allem: das Lassen von Irdischem, das Lassen von allen eigenen Ansprüchen."

Leer sein aller Kreatur ist Gottes voll sein,
und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein. 

"Mystisches Leben ist nicht ein Rückzug aus der Welt, sonder ein Ruf in die Welt: Schau Gottes und Tätigkeit für den Nächsten schließen sich nicht aus, sonder bedingen einander."

Johannes Tauler > Wir essen unseren Gott!
Sozialer Aspekt > "Die Menschen außerhalb der Klostermauern hatten nicht eine niedere Tätigkeit auszuführen, sondern eine Beruf, für den Gott selbst sie bestimmt hatte."
Bücher im 16. Jh. auf dem Index der katholischen Kirche

• Heinrich Seuse

Martin Luther

• liest Tauler
• Gedanke der Buße
• allgemeines Priestertum aller Gläubigen/Getauften

Fortleben der Mystik

• griechich/russische Orthodoxie: Berg Athos, Herzgebet/Jesusgebet, Starec = weiser Alter
• römisch katholisch: Teresa von Ávila, Johannes vom Kreuz
• protestantisch: Jacob Böhme, Schleiermacher

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Volker Leppin • Die christliche Mystik
Verlag C. H. Beck, München 2007
ISBN 978 3 406 53615 1 

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