Marcel Proust • Sodom und Gomorra II

 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4.2

Mal wieder geht es um Liebe, um Abhängigkeiten, soziale Interaktionen. Gefühle und Handlungen sind widersprüchlich. 
Eingezwängt in ihren Milieus scheint kein Platz für individuelle Entscheidungen; bei allen Personen brodelt es unter der Oberfläche.
  • Gespräche in den Salons
  • Zugfahrten und das Automobil
  • Ortsnamen
  • Verwandtschaftsbeziehungen
  • der kleine Kreis der Madame Verdurin
  • der Schlaf und seine Geheimnisse
  • Henri Bergson und die Lebensphilosophie


Aber ein Wort von derjenigen, die wir lieben, bleibt nicht lange unverändert in uns; es zersetzt sich und verdirbt.

Wenn sie arbeitete, würde sie sich nicht fragen, ob sie glücklich sei oder nicht. 

Wir wünschen uns leidenschaftlich, es möchte ein anderes Leben geben, in dem wir dieselben bleiben, die wir hienieden gewesen sind. 

... man träumt viel vom Paradies, oder vielmehr von zahlreichen wechselnden Paradiesen, doch alle diese sind schon lange, bevor man stirbt, verlorene Paradieses, in denen man sich selbst verloren fühlen würde.

jene tiefe Abneigung, welche uns diejenigen einflößen, die uns ähnlich sind

was alles noch dadurch verschlimmert wurde, dass er über keinerlei Gedächtnis, wohl aber stets über ungenaue Informationen verfügte

Ich besaß die Naivität aller Leute, die des Glaubens sind, eine Art von Neigung schließe notwendig die andere aus. 

Man kann zuweilen ein Wesen wiederfinden, doch nicht die Zeit auslöschen. ... Denn man spürt, dass man nicht mehr über genügend Reize, um zu gefallen, noch über genügend Kraft, um sie zu lieben, verfügt. ... Was das Lieben anbelangt, würde man sogar mehr lieben als nur je. Aber man spürt, dass das Unterfangen zu groß ist für die geringen Kräfte, die man noch besitzt. ... Dafür lässt man eben eine Frau kommen, der man nicht zu gefallen braucht, die nur einen Abend unser Lager teilt, eine Frau, die wir niemals wiedersehen werden. 

... denn nicht nur dadurch, dass man andere, sondern auch dass man sich selbst belügt, verliert man schließlich das Gefühl dafür, wann man eigentlich lügt.

Familien sind ja überhaupt so etwas Dummes, man trachtet nur danach, von ihnen loszukommen.

moralische Dürftigkeit

die geistige Insuffizienz des Blickes

... dass uns ein Wesen, das wir selbst nicht lieben, welches aber uns liebt, unerträglich erscheint. 

... dass man begonnen hat, sein Leben ernstlich und als Erwachsener zu führen, jenes eine Leben, das jeder von uns nur zur Verfügung hat. 

Fast jede Neuigkeit, die wir erfahren, bewirkt, dass wir irgendeine unserer Äußerungen bedauern. 

Nachahmungssucht und Mangel an persönlichem Mut beherrschen die gehobenen Gesellschaftsschichten genauso wie die Massen. 

Es gibt kaum reizenden Menschen, die nicht irgendwo etwas sonderbar sind. 

***

Monsieur de Charlus' Kümmernisse und sein vorgebliches Duell.
Albertines überdrüssig, will ich mit ihr brechen. 

Ich trat dann in den Schlaf ein, der wie eine zweite Wohnung ist, über die wir verfügen und in die wir, nachdem wir die erste verlassen, uns für die Nacht begeben. 

Denn alles, was die Gewohnheit in ihre Netze einfängt, überwacht sie auch. 

Wir behalten alle unsere Erinnerungen, wenn auch nicht die Fähigkeit, sie uns zurückzurufen. 

Entfernungen sich nur die Beziehung zwischen Raum und Zeit und wandeln sich mit ihr. Wir drücken die Schwierigkeit, die wir haben, uns an einen Ort zu begeben, in einem System von Meilen aus, das nicht mehr stimmt, sobald diese Schwierigkeit sich verringert hat.

Ein paar Minuten lang hatte ich das Gefühl, dass man die Person, die man liebt, dicht neben sich und dennoch nicht bei sich haben kann. 

Unaufhörlich wechseln die menschlichen Wesen im Verhältnis zu uns ihren Platz.

... dass innerhalb der Menschheit die Regel darin besteht, dass die harten Menschen Schwache sind, die keine Gegenliebe gefunden haben, und nur die Starken, da sie sich keine Gedanken darüber machen, ob man sie mag oder nicht, jene Sanftmut aufbringen, die der gemeine Mann für Schwäche hält.

... so groß ist tatsächlich die Zahl der Dinge, die wir unbewußt erleben, und der in unserem Innern tiefverwurzelten Wirklichkeiten, die uns verborgen bleiben. 

Die Liebe bringt auf diese Weise im Denken Umwälzungen hervor, wie sonst nur die Erdgeschichte sie kennt. 

***

Jähe Rückkehr zu Albertine. Betrübnis bei Morgengrauen. Abreise.


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