Marcel Proust • Im Schatten junger Mädchenblüte I

 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 2

Proust lernt Gilberte, die Tochter von Madame Swann, näher kennen und geht in deren Salon ein und aus. Obwohl er am Ziel seiner Wünsche zu sein scheint, leidet er bald sowohl an Liebe als auch an Liebeskummer.


Madame Swann und ihre Welt

... denn die Vorstellung, die man sich lange Zeit von einer Person gemacht hat, verschließt einem die Augen und Ohren gegen jede Veränderung.

... die Wesensart, die wir in der zweiten Hälfte unseres Lebens hervorkehren, ...

... dass der Sinn des Lebens mir nicht mehr die Wahrheit, sondern die Liebe zu sein schien, ...

mit zärtlicher Liebe gemischte Nichtachtung

Ich stellte nur fest, dass in der Politik das Wiederholen dessen, was alle Menschen denken, offenbar kein Zeichen von Mittelmäßigkeit, sondern von Überlegenheit ist. 

Die engen Beziehungen, die uns an ein anderes Wesen knüpfen, erhalten ihre Weihe dadurch, dass dieses unsere Schattenseiten vom gleichen Standpunkt aus betrachtet wie wir. 

Der Traum, den jeder am glühendsten hegt, ist der, den Menschen zu demütigen, der ihn beleidigt hat.

Das Wirken der Kausalität, das schließlich alle nur möglichen Effekte hervorbringt und infolgedessen auch die, von denen man es am wenigsten denkt, vollzieht sich oft äußerst langsam, häufig gerade infolge unserer Wünsche, die statt einer Beschleunigung eine Hemmung bewirken... 

In einer Zeit wie der unsrigen, da die zunehmende Kompliziertheit des Daseins einem so wenig Zeit zum Lesen lässt... 

... der Widersinn, klangvolle Worte aneinanderzureihen, ohne auf den Inhalt zu achten...

Ich fühlte mich bestürzt und ernüchtert, und wie eine Flüssigkeit, die sich nur innerhalb der Maße des Gefäßes ausdehnen kann, in die man sie hineingibt, zog sich mein Geist, nachdem er sich zuvor gestreckt hatte, um die ungemessenen Weiten des Genius auszufüllen, ganz und gar in die engen Schranken der Mittelmäßigkeit zurück. 

Es ist tatsächlich für keinen von uns ganz leicht zu berechnen, in welchem Maße unsere Worte oder Bewegungen den anderen deutlich werden. 

... dieser "Klatsch" klärte mich über die unerwarteten Proportionen von Zerstreutheit und Geistesgegenwart, Erinnerung und Vergessen auf, aus denen der menschliche Geist sich zusammenfügt. 

... und dann frage man, ob es unter den im Schoße unseres Bewusstseins gleichzeitig existenten Ideen eine einzige gibt, die nicht zuerst in einer Art von Schmarotzerdasein aus einer fremden, aber benachbarten das Beste ihrer Kraft gesogen hat. 

Das Traurige an alten Menschen ist ja gerade, dass sie nicht mehr daran denken, solche Briefe zu schreiben, deren Unwirksamkeit sie schon erfahren haben. 

Unsere Wünsche verschieben sich oft, und in der Verwirrung des Daseins ist selten ein Glück genau dem Wunsch angepasst, der es herbeiziehen wollte. 

Neuropathen sind vielleicht entgegen allem, was man gemeinhin annimmt, gerade diejenigen, die am wenigsten auf sich selber "achten"; sie nehmen in sich so viele Symptome wahr, über die sie sich, wie sie später zugeben müssen, umsonst beunruhigt haben, dass sie schließlich auf keines mehr ernstlich Rücksicht nehmen. 

... mein Körper hatte erreichen wollen, dass man ihm genau das ihm zukommende Maß an Mitleid spendete ... denn zum Philosophieren neigte er nicht; das gehörte nun einmal nicht zu seinem Ressort. 

Das Leben ist übersät mit solchen Wundern, auf die der Liebende hoffen darf. 

Ich staunte über die Ohnmacht des Geistes, der Logik und des Herzens, die geringste Sinnesänderung zu bewirken oder auch nur eine einzige der Schwierigkeiten zu beheben, die gleich darauf das Leben, ohne dass man recht wusste wieso, spielend zu lösen versteht. 

Er bemühte sich, in ihnen die Eigenschaften aufzuspüren und zu lieben, die jedes menschliche Leben enthüllt, wenn man es günstig voreingenommen prüft und nicht mit der Abneigung der Hochempfindlichen. 

Mit der typischen Feigheit von Leuten, die sich ja eigentlich alles erlauben dürfen...

Unsere Kraft des Erinnerns ist, verglichen mit der Vielheit der Dinge, mit denen sie es zu tun hat, so dürftig und so beschränkt wie das Gedächtnis eines Schlafenden, der an tausend Dinge denkt, aber sie gleich wieder vergisst, oder eines kindischen Alten, der nach einer Minute nicht mehr weiß, was man ihm eben gesagt hat. Das Gedächtnis ist nicht imstande, von so vielfältigen Eindrücken uns auf der Stelle ein Erinnerungsbild zu liefern. 

Wir werden die Meisterwerke länger lieben als die übrigen, weil wir länger gebraucht haben, bis wir sie endlich liebten. 

... einen Wandel der Dinge, den ich zwar äußerlich feststellte, aber im Innern nicht mit vollzog.

... denn nur wir selbst vermögen durch den Glauben, sie hätten einen selbstständige Existenz, gewissen Dingen, die wie sehen, eine Seele zu verleihen, die sie auch weiterhin bewahren und in uns anwachsen lassen. 

Ich finde es einfach grotesk, wenn man sich in Dingen des Gefühls um andere Leute kümmert. Man fühlt für sich, nicht für das Publikum. 

... da jeder die Gedanken klar und deutlich findet, die einen gleichen Grad an Verworrenheit aufweisen wie seine eigenen. 

Wie eigenartig es einem auch scheinen mag, alles Lärmen, das aus dem Munde menschlicher Wesen kommt, ist flüchtig und lebt nicht länger als sie. 

Ein starker Gedanke teilt auch dem, der anderer Meinung ist, von seiner Kraft etwas mit. 

Dreiviertel der Leiden, die gescheite Menschen befallen, stammen bei ihnen aus dem Geiste. 

Immer nur trifft man auf Grund einer geistigen Verfassung, die nicht von Dauer sein wird, die wichtigsten Entscheidungen. 

Ein Kummer, den uns ein geliebtes Wesen zufügt, kann bitter sein. 

Wir alle müssen, um die Wirklichkeit für uns erträglich zu machen, ein paar kleine Torheiten in uns nähren. 

Wir stellen uns beim Reden stets vor, dass unsere Ohren und unser Geist das Gesagt Vernehmen. ... Die Wahrheit, die man in Worte kleidet, bahnt sich nicht unmittelbar ihren Weg und ist kein unbestreitbares, augenfälliges Phänomen. Es bracht eine ganze Weile Zeit, bis eine Wahrheit gleicher Ordnung sich in den anderen formen kann. 

Ebenso können, was man auch tut, in der Liebe die Schranken nicht von außen her durch den, der verzweifelnd davor steht, durchbrochen werden. 

Man sagt Dinge, die man gern sagen möchte und die der andere nicht versteht; man redet nur für sich selbst. 

Die Resignation, eine abgewandelte Form der Gewohnheit, lässt manche unserer Kräfte ins Ungemessene wachsen. 

Man ist nicht sehr heikel und nicht sehr sicher in Bezug auf das, woraus man sich nichts macht. 

Fortbestehen und Dauer gelten nichts auf Erden, nicht einmal für den Schmerz. 

💔💔

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