Marcel Proust • In Swanns Welt

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 1

erschienen 1913

Combray

Jugenderinnerungen an Combray; die Familie und Bedienstete; Farben der Natur, Spaziergänge, Lektüre und Zeitvertreibe; erste Begegnung mit Madame de Guermantes


Die Hoffnung auf Erleichterung gibt dem Kranken Mut zu leiden. 

Nachdem der anästhesierende Einfluss  der Gewohnheit aufgehört hatte, begann ich zu denken, zu fühlen - beides traurige Dinge.

... tat ich, an Feigheit bereits ein Mann, was wir alle tun, wenn wir groß sind und Leiden und Ungerechtigkeiten mit ansehen müssen: ich wollte nicht sehen...

à contre-coeur

Die Ruhe, die sich nach dem Aufhören meiner Ängste auf mich niedersenkte, versetzte mich in einen Zustand außerordentlicher Gehobenheit, dazu kam die bange, süße Erwartung der Gefahr. 

Auch in mir sind viele Dinge zerstört, von denen ich geglaubt hatte, sie würden ewig währen, und andere sind entstanden, die neue Freuden und Leiden heraufbeschworen haben, von denen ich damals noch nichts wissen konnte, so wie mir heute die damaligen schwer zu begreifen sind. 

Doch wenn die Angst verschwunden war, begriff ich sie nicht mehr.

Der Geist muss die Wahrheit finden. Doch wie? Eine schwere Ungewissheit tritt ein, so oft der Geist sich überfordert fühlt, wenn er, der Forscher, zugleich die Landschaft ist, in der er suchen soll und wo das ganze Gepäck, das er mitschleppt, keinen Wert für ihn hat. Suchen? Nicht nur das: Schaffen. Er steht vor einem Etwas, das noch nicht ist, und das doch nur er in seiner Wirklichkeit erfassen und dann in sein eigenes Licht rücken kann. 

Dann schaffe ich ein zweites Mal völlige Leere um meinen Geist und spüre, wie etwas in mir sich zitternd regt und verschiebt, wie es sich zu erheben versucht, wie es in großer Tiefe den Anker gelichtet hat; ich weiß nicht, was es ist, doch langsam steigt es in mir empor...

Ich bildete mir wie die meisten Leute ein, das Hirn der anderen sei ein neutrales, immer empfangsbereites Gefäß ohne spezifisches Reaktionsvermögen gegenüber dem, womit man es füllt...

Ein wirklicher Mensch, mögen wir noch so sehr mit ihm sympathisieren, wird von uns zum großen Teil durch die Sinne aufgenommen, das heißt, große Partien an ihm bleiben undurchsichtig für uns und bilden eine Art toter Last, mit der unser Empfindungsleben nicht anzufangen weiß.

Für was für ein anderes Leben hob er sich denn auf, endlich zu sagen, was er ernstlich über die Dinge dachte?

Unser Glaube, dass ein Wesen an einem unbekannten Leben teilhat, in das seine Liebe uns mit hineintragen würde, ist unter allem, was die Liebe zu ihrer Entstehung braucht, das Bedeutungsvollste, demgegenüber alles andere nur noch wenig ins Gewicht fallen kann. 

... Menschen, die aus Mangel an Energie oder Einbildungskraft in solchen Augenblicken nicht imstande sind, aus sich selbst den erneuernden Impuls zu ziehen, erwarten dann von jeder kommenden Minute... bis jener leichte Überdruck, den andere Menschen in Tätigkeit ausgeben ... zu einer jener Veränderungen zwingen würde, deren Heilsamkeit sie ahnte, die sie aber doch sich nicht entschließen konnte, selbst herbeizuführen.

... die verborgene Abseite eines Charakters offenbart; lässt sich mit früheren Reden nicht in Einklang bringe, wir können sie nicht durch die Aussage des Schuldigen bestätigen, der niemals eingestehen wird; wir sind also völlig auf unsere Sinne angewiesen und fragen uns dann doch angesichts dieser ganz isoliert dastehenden einmaligen Erfahrung, ob wir nicht einer Täuschung zum Opfer gefallen sind.

 ... der große Verzicht des Alters, das sich zum Sterben rüstet, sich sozusagen verpuppt; bei langen Lebensabläufen kann man selbst zwischen einstigen Liebenden, die leidenschaftlich einander zugetan waren, unter Freunden ,,, feststellen, dass sie von einem gewissen Jahre an die Reise oder den Ausgang nicht mehr unternehmen, die notwendig wären, um sich zu sehen, dass sie aufhören, sich zu schreiben, und wissen, dass in dieser Welt die Verbindung zwischen ihnen aufgehört hat.

Die Tatsachen dringen in den Bezirk nicht ein, in dem unser Glaube wohnt. 

... wie es in Augenblicken der Träumerei inmitten der Natur geschieht, wo die Wirkung der Gewohnheit aufgehoben ist...

Die verschiedenen Zustände unterscheiden lernen, die in meinem Innern zu gewissen Zeiten aufeinanderfolgen ... dicht beieinanderliegend haben sie doch so wenig miteinander zu tun, es besteht so gar keine Verbindung zwischen ihnen... 

Eine Liebe von Swann

Wie sich Charles Swann in die Kokotte Odette de Crécy verliebt und was es mit ihm macht 


In dieser Epoche des Lebens ist man von der Liebe schon mehrmals angerührt worden; sie rollt nicht mehr aus sich selbst nach ihren eigenen unbekannten und schicksalsbedingten Gesetzen in unserem staunend und passiv davon betroffenen Herzen ab. 

... und so sehr hat die Liebe das Bedürfnis, sich eine Rechtfertigung und eine Garantie ihrer Dauer zu verschaffen durch Vergnügungen, die ohne sie keine solchen wären und mit ihr wieder aufhören es zu sein...

So sehr schafft eine neue Leidenschaft in uns etwas wie einen neuen und ganz anderen Charakter. 

Da er oft bemerken musste, dass er ihren Träumen nicht entsprach, suchte er wenigstens zu erreichen, dass sie sich wohl bei ihm fühlte... 

AUSHALTEN 

... die Ruhe und das Wohlgefühl, die im Grunde für Natureindrücke die unerlässliche Voraussetzung sind. 

Jenen Schmerz aber, den er empfand, schuf das Denken jedesmal neu, indem es sich damit befasste. 

... ein gutes Gefühl, wie jede Kreatur es hat, wenn sie in einem Augenblick der Ruhe und der Sammlung sich selbst überlassen ist ... 

... aber immerhin haben wir die Dinge, die wir wissen, wenn auch nicht in der Hand, so doch im Kopf, wo wir sie nach Belieben einordnen können, und das gibt uns dann die Illusion einer gewissen Macht über sie. 

Diese Notwendigkeit unablässigen Handelns, bei dem kein Wechsel und eigentlich kein Erflog zu erwarten war, wurde so grausam für ihn... 

Man zittert ja immer nur für sich oder für die, die man liebt!

Um mich aber zu ändern, muss sie mich häufiger treffen.

... so gab es in ihm auch eine Stelle, bis zu der er seinen Geist nie vordringen ließ, lieber ließ er ihn den Umweg langer Argumente nehmen, damit er an ihr nicht vorüber kam... 

... welche Fülle der Vielheit uns unbewusst jene große undurchwanderte, entmutigend ziellose Nacht unsere Seele birgt, die wir für Leere halten und für Nichts. ... Vielleicht verlieren wie die Vorstellungen von Licht, von Ton (und anderen) einmal, vielleicht erlöschen sie bei unserer Rückkehr ins Nichts. ... Vielleicht ist das Nichts das Wahre, und all unser Träumen hat kein wirkliches Sein...  

Er sah schweigend zu, wie ihre Liebe starb. 

Zu seinem Glück besaß er unter der Flut der neuen Leiden, die wie eine wild anstürmende Horde in seine Seele eindrangen, eine ältere, ruhigere Schicht seiner Natur, die unermüdlich schweigend tätig war ... Diese älteren Ureinwohner seiner Seele wendeten einen Augenblick alle Kräfte für die verborgene Wiederherstellungsarbeit auf...

Sein Gefühl für sie war jetzt frei von Schmerz und daher kaum noch Liebe zu nennen. 

Ortsnamen • Namen überhaupt

Reisen und Erinnerungen

• 

Es gibt schwer überwindbare, unbequeme Tage, die man unendlich langsam erklimmt, und andere, abwärtsgleitende, die man mit einem Lied auf den Lippen durcheilt. 
... diese einmaligen Tage schwinden im Gebrauch, sie kommen niemals wieder...

Ich war in Kontakt mit dem Geheimnis ihres mir unbekannten Seins. 

... da man stets den Wunsch hat, für seine Leidenschaft eine Begründung zu finden und glücklich ist, in dem Wesen, das man liebt, Vorzüge zu erkennen, die unter anderem würdig sind, Liebe zu erwecken...

... dass in unserer Beziehung zueinander nur ich der Liebende sei. 

Sie entsprang dem großen Quell einer Freude, die die Seele schon spürt, ehe sie noch ihre Ursache kennt und bevor sie weiß, dass nichts außerhalb von ihr selbst sie hervorgebracht hat. 

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