August

Der achte Monat ist mit seinen Kräften wie ein mächtiger Fürst, der alles in der Fülle seiner Macht besitzt. Daher strahlt er auch Freude aus. Er brennt in der Glut der Sonne, hat aber wegen einer gewissen Kühle bereist Tau. Durch seine Gewitter ist er schrecklich, weil sich die Sonne schon ihrem Niedergang zugeneigt hat. 



Seine Eigenschaften zeigen sich in den Händen des Menschen, die sehr viele Werke vollbringen und die Macht des ganzen Körpers in sich tragen, denn alles, was sie können, ziehen sie an sich und speichern es, sodass der Mensch wegen der Werke seiner Hände oft gelobt wird.
Ähnlich erkennt der Mensch auch durch den Geschmacksinn seines Mundes vollkommener als durch die übrigen Sinne die Kräfte von dem, was für ihn nahrhaft ist, und behält es in der Kraft seines Wissens, wie auch dieser Monat in seinen Kräften groß ist.
Der Mensch hat auch Freude in sich, indem er weise unterscheidet, welche kalten und warmen Wesen seiner Gesundheit zuträglich sind, so wie auch dieser Monat die Glut der Sonne und die Kühle des Taus in sich hat. Denn in seinem Wissen wendet er sich ab von dem, was gefährlich und unnütz ist und sammelt das Gute und Nützliche. So vollenden die Hände kraftvoll in Rechtschaffenheit lobenswerte Werke, wie ein Baumeister in der Beherrschung seines Handwerks alle Teile seines Hauses errichtet, in dem er seine ganze Habe weise aufbewahrt. 



Die Seele aber ist in ihrem Wesen nach kämpferisch und durchdringt mit ihren Wünschen die unerlaubten Begierden des Menschen und überwindet sie.
In reißendem Lauf zieht sie ihre Bahn und steigt vom Beginn ihres Kampfes an zu Gott empor. Sie kämpft mit dem Schild des Glaubens und der gesamten Waffenrüstung der Tugend gegen die Begierden des Fleisches, und wenn sie diese besiegt hat, freut sie sich wie ein Kämpfer, der nach seinem Willen und seiner Absicht seine Feinde überwunden hat. Denn da sie in der Glut der wahren Sonne brennt, lässt sie den Menschen aufseufzen, sodass er in der Kühle der wahren Reue, die alle Sünden ausdörren lässt, Tränen vergießt. Der Mensch steigt nämlich in der Reue, in der ihm sehr viele Widerstände entgegentreten, hinab, weil er sich in Demut für Schmutz hält, sodass er kaum die Heilung seiner Seele erhofft.
Aber die Seele stellt ihm bald das Kreuz und alle Leiden Jesu Christi vor Augen, durch die die Sünden getilgt werden. So erhebt sie ihn zur Hoffnung empor, aus der die Reue erblüht, während er selbst von Tugend zu Tugend emporsteigt. Er bringt dann durch sie für jedes einzelne Werk, das er durch sie vollbracht hat, die Blüten der guten Werke und heiligen Tugenden hervor, an denen er nie Überdruss bekommen kann. So wird er durch die Reue emporgehoben und schreitet täglich mit großer Kraft voran und sammelt gute und heilige Werke, an denen sich die ganze himmlische Schar im Lobpreis Gottes erfreut. 



Hildegard von Bingen
Liber Divinorum Operum
1. Teil, 4. Vision



Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Januar

Elemente der Alchemie

Marcel Proust • Im Schatten junger Mädchenblüte I